Ich bin heute schneller gerannt, als sonst. Wahrscheinlich lag es an der Kälte. Dummerweise hatte ich keine Mütze auf. Ich hatte mich vom Sonnenschein täuschen lassen. In einigen Regionen in Deutschland liegt Schnee. Schnee hatten wir hier in Versailles diesen Winter keinen. Auch wenn ich es liebe durch weiße Winterpracht zu stapfen, rodeln zu gehen oder auf dem Berg zu stehen und den wundervollen Blick auf die schneebedeckte Landschaft zu genießen, genieße ich jetzt im Moment den Frühling in seiner bunten Vielfalt und freue mich auf wärmere Tage.
Ich joggte zu unserer Lieblingsbäckerei am Markt von Versailles. Hierbei bin ich im Slalom gelaufen, weil vor mir Hundebesitzer unterwegs waren und auf dem Gehweg lauter Pippipfützen waren. Natürlich von den Hunden verursacht, nicht den Hundebesitzern. So ist das, wenn in einer Stadt der Park geschlossen wird. Ich mache mir einen Spaß daraus und bin im Moment froh, dass es unseren Hunden in Deutschland so gut geht. Sie müssen nicht auf ihren Waldspaziergang verzichten. Vor der Bäckerei war eine lange Schlange. Der Abstand zwischen den Wartenden ist größer geworden. Ich entdeckte ein Schild mit folgenden Worten: "Wir unterstützen Krankenhauspersonal mit frischen Baguettes." Die Verkäuferin trug heute eine Schutzmaske und Handschuhe. Von ihrem schönen Gesicht war kaum etwas zu sehen. Wie gewohnt bestellte ich zwei Baguettes und freute mich, dass ich nicht zu spät dran war. Auch ich tat etwas in das kleine Spendenkörbchen. Mit meinen zwei Baguettes lief ich nach Hause. Sie waren noch warm und dufteten.
JETZT
Wir alle erleben das „Jetzt“ unterschiedlich. Eine französische Freundin, die in Paris lebt, erzählte mir, dass ihre Nachbarn nur alle 10 Tage zum Einkaufen die Wohnung verlassen. Sie leben
freiwillig in Quarantäne. Sie haben Angst vor Ansteckung. Angst vor dem Virus. Diese Angst begleitet viele. Vielleicht hätte sich das Virus weniger schnell ausgebreitet, wenn wir alle zu Hause
geblieben wären? Die Vergangenheit können wir nicht ändern, aber im „Jetzt“ können wir handeln. Für mich ist es eine sehr große Herausforderung, wie für viele andere auch, mich nicht frei bewegen
zu können. Ich nutze die Möglichkeit und streife einmal am Tag im vorgeschriebenen Radius durch die Straßen. Ich gehe vorbeikommenden Passanten freundlich winkend aus dem Weg, indem ich die
Straßenseite wechsle oder aber einfach einen Bogen einschlage. Doch freiwillig eine Maske tragen, wenn ich mich gesund fühle und Abstand halte zu meinen Mitmenschen, kann ich mir im Moment
nicht vorstellen. Ich verstehe all diejenigen, die anders handeln. Auch ist das Argument nicht vom Tisch zu weisen, dass viele von uns das Virus in uns tragen, es gar nicht bemerken und damit
andere gefährden. Gegenseitiges Verständnis, Respekt voreinander und Achtsamkeit - ich erlebe es in meinem Alltag hier in Versailles und fühle mich sicher.
Wertschätzung
Punkt 20 Uhr wurde wieder geklatscht. Auch das wird bei uns kontrovers diskutiert. Nach dem Motto: „Das ändert nichts.“ Stimmt. Das Klatschen verändert nicht die Arbeitsbedingungen und die
ungerechte Bezahlung des medizinischen Personals. Für mich ist es ein Moment der Wertschätzung für all die Menschen in sozialen Berufen, als auch denen gegenüber, die für die Sicherheit und
Versorgung unserer Gesellschaft jeden Tag ihrem Job gewissenhaft nachgehen. Darüber hinaus schafft es Verbundenheit und Nähe. Niemals vorher habe ich es erlebt, nicht einmal an Silvester, dass
die Nachbarn auf dem Balkon stehend nach der "Klatschminute" sich einen schönen Abend wünschen. Ich blickte von Weitem in Gesichter, die ich noch nie gesehen hatte und war berührt.
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